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kuenstlerische forschung in der klangkunst

Arts, Science & Culture Sound Urban Design

ein beitrag von SAM AUINGER zum verstaendnis und zu fragen der gestaltung auditiver qualitaeten in urbanen raeumen.

seit mehr als 25 jahren betreibe ich eine kuenstlerische forschung zu fragen der auditiven qualitaeten in unseren urbanen lebensraeumen. dabei und daraus enstehen installationen /arbeiten im oeffentlichen raum, meist zusammen mit bruce odland (O+A), sowie installationen im semi oeffentlichen raum ( galerien, kirchen, gaerten,..) sowie spezifische, thematische kompositionen (A100) in zusammenarbeit mit dem bassisiten und komponisten hannes strobl (TAMTAM).

im laufe der jahre habe ich/wir eine vielzahl von techniken und methoden entwickelt, um orte/raeume hoerend verstehen zu lernen. diese sind auch in meiner zeit als leiter der experimentellen klanggestaltung im masterstudiengang sound studies der udk/berlin bei und mit meinen studentinnen zur anwendung gekommen und weiterentwickelt worden. parallel dazu hat sich fuer mich ein immer breiterer austausch und diskurs mit architekten und stadtplanern ergeben, die, wie auch in den wissenschaften im allgemeinen, in der kuenstlerischen forschung eine neue erkenntnis-ressource fuer ihre fragen und problemstellungen erkennen.

2010, mit der berufung zum ersten bonner stadtklangkuenstler zum thema klangkunst und stadtplanung und einer damit verbundenen sechsmonatigen kuenstlerischen forschungszeit, sind materialien entstanden, die unter anderem zum ende meiner bonner zeit zur hoer-orte-karte bonn fuehrten. eine art stadtplan zum persoenlichen aufsuchen und erleben von ausgewaehlten orten und deren auditiven
qualitaeten.

ihre rege verbreitung unter bewohnerinnen der stadt, stadtinteressierten und touristen, gestuetzt auf eine grosse zweisprachige druckauflage und einer digitalen smartphone-anwendung, erzeugt und unterstuetzt seither in bonn einen stetig anwachsenden oeffentlichen stadtklang-diskurs.

warum stadtklang = auditiver lebensraum heute neu ins zentrum unserer aufmerksamkeit rueckt, ist vielleicht einerseits darin begruendet, dass im hoersinn auch der raumsinn liegt. dass das auditive wahrnehmen einer lebensumgebung unsere emotionale bindung an diese wesentlich mitbestimmt und wir diese atmosphaerische notwendigkeit vom real auditiven immer mehr in den real subjektiv gestalteten medialen raum (smartphone) verschieben. und andererseits, dass die auditive qualitaet eines urbanen raums auch immer eine konsequenz des designs im architektonischen wie im staedteplanerischen ist... zufaellig oder gewollt. jede stadt erzaehlt ihre auditive geschichte, so wie jeder raum spricht und ein klangereignis faerbt. topografie, architektur, oekonomische und soziale struktur und dynamik, all das laesst sich hoeren. wenn wir raus auf die strasse gehen, die stadt durchwandern und ihr zuhören. dann hoeren wir unsere kultur. sie ist laut, ruhelos, von verbrennungsmotoren-, strom und medienklaengen dominiert, und sie ist verknuepft und vermischt in einem netz von infrastruktursystemen. es geht um die frage, was unsere urbanen raeume, und die art und weise, wie wir darin unsere sozialen und oekonomischen interaktionen organisieren, unseren sinnen zu bieten haben...

seit der renaissance haben wir in der europäischen kultur eine (visuelle) perspektive entwickelt, eine sprache dafuer, wie wir mit bildern und unseren visuellen eindruecken umgehen und sie kommunizieren. wir haben nichts vergleichbares entwickelt fuer die welt des auditiven. es fehlt uns die sprache, um z.b. die komplexe wellenform einer staedtischen klangumgebung zu beschreiben und auch dafuer, was deren klaenge mit uns machen, wie wir durch sie einen raum, einen Ort, eine situation erleben und empfinden...

klaenge sind schallwellen, sind vibrationen. wir nehmen sie nicht nur mit dem ohr wahr, es hoert der ganze koerper. denn unser koerper besteht aus vielen hohlraeumen, die alle in ihren eigenen frequenzen resonieren. wir spueren einen bass im bauch und einen hochfrequenten klang auf der schaedeldecke. es gelingt uns vielleicht sehr gut das schneidende quietschen von busbremsen nicht mehr bewusst hoerend wahrzunehmen. und sehr erfolgreich haben wir die faehigkeit unseres gehirns perfektioniert, unerwuenschte klaenge wegzufiltern, sie nicht zu hoeren. aber bei genauerer beobachtung stellen wir eine reaktion unseres koerpers fest, ein verkrampfen.

architektur definiert die soundbox fuer uns und unsere klangereignisse...
jeder gebaute raum faerbt durch form und materialitaet ein klangereignis, im reflektieren und resonieren, in seiner halligkeit oder daempfung... jeder klang ist in seiner auditiven erlebbarkeit mit den architektonischen eigenschaften seines ereignisraums verwoben. stadtplanung definiert de facto auch die räume einer dynamischen klangausbreitung und -mischung aller in der stadt moeglichen klangereignisse... der schwerpunkt einer akustischer stadtplanung liegt im atmosphaerischen, im moeglichen mix der vielen stimmen und in den rhythmischen strukturen von groesseren urbanen raeumen.

ein thema, das heute immer mehr ins öffentliche bewusstsein rückt, ist die beziehung von stadt und laerm. es gibt bereits von fast allen staedten europas laermkarten. und dass laerm, meist verkehrslaerm, ein problem ist, wird heute niemand mehr bestreiten. unsere herkoemmliche herangehensweise im sinne einer problemloesung gegen den laerm ist meist bauakustisch/technischer natur, sie beruft sich auf messbare werte und gesetzliche lautheitsgrenzen. die durchfuehrbarkeit dieses vorgehens und seine begruendung beruht auf problemeingrenzung und standardisierung der erfassbaren daten. eine spuerbare allgemeine unzufriedenheit mit diesen ueblichen methoden, sowohl bei problemloesern wie betroffenen, hat viele ursachen. die betroffenen fuehlen sich als opfer und die problemloeser haben mit herkoemmlichen laermverminderungstechniken und -verfahren wie schallschutzwaenden und schallschutzfenstern nur begrenzt wirksame mittel. ihre staerksten waffen sind  geschwindigkeitsbegrenzung (tempo 30) und fluesterasphalt auf strassen im ringen um die verminderung von dezibelzahlen. was hier sehr schnell klar wird ist, dass das feld der beteiligten wissens- und fachgebiete zur effektiven loesung des laermproblems weit ueber die experten für bauakustik, verkehrs- und stadplanung hinausgeht. es geht um fragen der kommunikation, des designs, der aesthetik, psychologie, soziologie, politik, oekonomie, etc., sowie um unser allgemeines gesellschaftliches wahrnehmungsverstaendnis von urbanen lebensraeumen. es scheint sich beim laerm um ein problem zu handeln, das durch eine breit angelegte diskussion und ein verstehenlernen all seiner inneren wirkungszusammenhaenge einen gewichtigen anteil am diskurs gesamtgesellschaftlicher gegenwartsfragen einnehmen könnte.

mich interessiert dieses thema im sinne des unerwuenscht hoerbaren, das je nach auditiver situation und fragestellung zur wirkung kommen kann. einmal kurz uebers wochenende nach paris fliegen, schnell etwas im internet bestellen – das sind zwei allgegenwaertige verhalten und handlungen, die unsere klangumgebung massiv mitgestalten. wer denkt beim eigenen fliegen an den fluglaerm, wer an den lkw in der landschaft der das bestellte buch nach hause bringt.

es erleichtert, sich dem thema stadtklang zu naehern, wenn wir den begriff klang von seiner traditionellen musikalischen und technischen definition befreien, und ihn in diesem zusammenhang auf das wahrnehmbar hoerbare erweitern. denn eine
genaue unterscheidung zwischen klang und geraeusch verkompliziert das thema nur unnoetig, auch weil dessen unterscheidungsgrenzen sich je nach individueller betrachtungsweise verschieben. um stadtklang kommunizierbar zu machen hilft es, sich immer wieder die grundsaetzlichkeit der wechselwirkung von klangereignis, raum und architektur fuers auditive bewusst zu machen und diese im eigenen bewusst hoerenden erleben zu erfahren: ein sich darin ueben erzeugt ein anderes
hoeren.

hier schafft auch klangkunst einen möglichen zugang. sound art oder klanginstallationen zeichnen sich durch einen expliziten bezug zum raum aus. ja, klanginstallationen beziehen sich meist auf eine bestimmte lokalitaet bzw. gestalten sie mit. ein expliziter bezug zum raum kann nur durch ein verstaendnis fuer die akustischen wirkungszusammenhaenge von raum und klangereignis entstehen. die gestaltung und bezugnahme auf eine bestimmte lokalitaet/ort hat das erkennen ihrer auditiven qualitaeten zur basis. der kuenstlerische umgang mit klaengen verlangt noch dazu ein neues hoeren bzw. uebt ein neues hoeren ein. hoeren wird zu einer bestimmten weise, an einem ort zu sein. hoeren ist in der sound art nicht nur ein mittel, das kunstwerk wahrzunehmen, sondern vielmehr geht es im kunstwerk meist zentral um das hoeren selbst.

natuerlich hoert man immer schon, aber immer schon hoert man auch weg. vor allem aber ist hoeren als kanal sprachlicher kommunikation und als orientierungsorgan immer schon instrumentalisiert (Gernot Böhme). es geht also bei diesem anderen hoeren nicht um unser alltaegliches wissendes und orientierendes hoeren („ja ich hoere einen zug“). es geht um den klangverlauf, das wahrnehmen vom anschwellen und abfallen des klangs, dem damit einhergehenden besetzen und im abklingen das wieder freigeben der klangumgebung. wie fuehle ich mich dabei, was fuer eine atmosphaere hat dieser ort... wie ist seine stimmung.
bei fortschreitender uebung in diesem anderen hoeren und dem sich dabei bildenden klanggedaechtniss fuer (stadt)klang entwickeln wir ein qualitatives klangbewusstsein. auch zusammenhaenge und wechselwirkungen von kraeften der natur, z.b. tages- und jahreszeiten, auf die akustische wie auditive qualitaet eines hoer-ortes werden uns bewusst. und das wichtigste, wir beginnen unser hoeren zu verknuepfen mit unserer eigenen persoenlichen geschichte, der momentanen stimmungslage. wir beginnen, unser hoeren als kulturell gestaltet zu verstehen und zu empfinden. subjektive vorlieben spielen im verstehen und empfinden eines hoerorts genau so eine rolle wie zeitgeistige wertvorstellungen.

als einstieg und hilfe fuer bewusste persoenliche hoererfahrungen zum thema stadtklang versteht sich die hoer-orte-karte. die auditiven qualitaeten aller hier vorgestellten hoer-orte in bonn haben meist prototypischen charakter, d.h. diese karte ist auch eine enladung, hoer-orte in anderen staedten zu entdecken. die in der karte gesammelten hoer-orte beschreiben meist klar erkennbare akustische effekte und klangliche phaenomene, die vor ort selbst wahrgenommen und erlebt werden koennen.

ein paar beispiele:
1. raumtakt: jede ampelschaltung taktet im anschwellen, fliessen und
wiederabschwellen des starken verkehrsklangs ihren urbanen ort.
2. klangmuster: ueberall, wo oeffentlicher raum architektonisch vertikal
strukturiert ist, wo also z.b. verschiedene ebenen durch treppen
verbunden sind, ergeben sich klanglich-rhythmische muster in ihrer
nutzung. dies gilt auch fuer mit verschiedenen materialien und formen
gestaltete bodenbelaege auf offentlichen plaetzen.
3. symbolischer klangraum: der mittelalterliche innenhof mit kreuzgang im
bonner muenster ist ein ort der ruhe und kontemplation: faktisch wie
symbolisch. die klänge der vom stein reflektierten schritte und des
kleinen wasserspiels in der mitte des innenhofes repraesentieren den
grundklang des europaeischen mittelalters.
4. maskierung: der klang eines wasserspiels bietet zwei wichtige funktionen:
schutz und privatheit. sitzt man am beckenrand, fuehrt das (breitbandige)
starke rauschen der wasserspender zu einer fast vollstaendigen
maskierung der klangemissionen des vorbeifliessenden strassenverkehrs.
der gleiche rauschklang macht es aber auch moeglich, sich am
beckenrand unter vielen mit jemanden privat zu unterhalten.
5. gangarten: in einer weitlaeufigen fussgaengerzone findet man immer wieder
orte, an denen die schritte und gangarten der fussgaenger hoerend
erfahrbar werden. in der art, wie wir einen fuss vor den anderen setzen,
entsteht ein rhythmus und eine individualitaet, die sich fast
ausschliesslich im verkehrsberuhigten oeffentlichen raum zeigen.
6. breite grenze: grosse staedtische verkehrsadern, mehrspurig, vermischt mit
schienenverkehr und sonstigen nahverkehrssystemen, funktionieren wie
breite grenzen zwischen einem teil der stadt und dem anderen. nur bei
geringem verkehrsaufkommen(z.b. nachts) sind sie hoerend
ueberwindbar.
7. rhythmusbox. aus funktionalen gruenden sind bruecken technisch so gebaut,
dass sie flexible verbindungsstellen zwischen den fahrbahnteilen
aufweisen. werden diese ueberfahren, entstehen rhythmische muster, die
sich im raum darunter wie ein eigenartiges trommelstueck anhoeren.
8. fernes rauschen. ein charakteristikum unserer grossen urbanen gruenanlagen
ist, das sie aufgrund der sie querenden und umgebenden
infrastruktursysteme meist auditiv mit einem fernen rauschen besetzt
sind.
9. klangeffekt: der grosse architektonische raum, der sich am linken rheinufer
unter der adenauerbruecke ausbreitet, ist ein wunderbarer und ergiebiger
ort, um sich in eigenen experimenten , zb. durch klatschen, rufen oder
singen mit der beziehung von klang und architektur zu beschaeftigen.

die hier angfuehrten beispiele stellen mehr oder minder jeweils ein bestimmtes akustisches phaenomen, eine bestimmte auditive qualitaet ins zentrum der moeglichen persoenlichen erfahrung vor ort.

ein wichtiger abschnitt der hoer-orte-karte widmet sich dem erleben einer raumsequenz, einem moeglichen weg in der stadt. die auditive qualitaet eines urbanen quartiers hat viel mit dem wechselspiel von ineinander uebergehender akustisch differenzierbarer raeume zu tun. hier ist neben den unterscheidbaren klangqualitaeten und stimmungen, ihren uebergaengen und schwellen, auch die jeweilige tages- und jahreszeit, mit ihren unterschiedlich intensiven sozialen und oekonomischen interaktionen, der bestimmende atmosphaerische faktor.

waehrend meiner zeit in bonn habe ich mir die stadt erlaufen. das interessante am zu-fuss-kennenlernen einer stadt ist, dass man den grossen wahrnehmbaren urbanen raum nie verlaesst und die langsamkeit der fortbewegung grosse aufmerksamkeit fuer sinnliche eindruecke ermoeglicht – ideale voraussetzungen, um eine stadt hoerend zu entdecken.

basierend auf all meinen erfahrungen in workshops, diskussionen und diversen diskursen der letzten jahre, moechte ich die einladung aussprechen, sich hoerend mit staedtischer umwelt, unserem lebensraum auseinanderzusetzen. und eine praxis dafuer zu entwickeln, um mit persoenlicher erfahrung am notwendigen breiten gesellschaftsdiskurs zum thema stadtklang/auditiver lebensraum teilzunehmen.