Contemporary Art - Science - Urbanism - Digital Culture

Das folgende Thesenpapier ist zur Vorbereitung auf das Berlin Forum der Stiftung Zukunft Berlin mit Joe Chialo, Senator für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, am 15. April 2024 im Radialsystem verfasst und veröffentlicht worden:

Die besondere Bedeutung von Berlin bestand als Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands immer auch und vor allem in ihrer kulturellen Dimension – als Freiraum für kreative Experimente, vielfältige Lebensentwürfe und künstlerische Produktion. Dementsprechend war es vor allem die Kultur und das mit ihr einhergehende Lebensgefühl (und nicht Wirtschaft oder Politik), die Menschen aus ganz Deutschland und schließlich der ganzen Welt nach Berlin ziehen ließen.

Der im Rahmen des Berlin-Forums begonnene Zukunftsdialog mit dem Regierenden Bürgermeister zielt auf wesentliche Bedeutungshorizonte der Stadt - wie Vielfalt, Freiheit und Demokratie. Auch diese finden ihren Ausdruck vornehmlich in der Kultur. In diesem Sinne ist Kultur eine Querschnittsaufgabe aller gesellschaftlichen Bereiche und damit aller Ressorts. Auch Demokratie ist letztlich eine kulturelle Errungenschaft. Hier gilt es anzuknüpfen und zu konkretisieren.

Diese besondere kulturelle Bedeutung der Hauptstadt ist heute – bei aller Lebendigkeit der kreativen Szene – durchaus gefährdet. Die einstigen Freiräume kämpfen gegen steigende Mieten, Raumnot und Gentrifizierung. Die Kommunalen Kultureinrichtungen sind weitgehend unterfinanziert. Große Kulturneubauten wie das Humboldt Forum oder das Museum des 20. Jahrhunderts am Kulturforum erfüllen ihre Versprechen nur teilweise und erfreuen sich nicht besonders großer Akzeptanz in der Bevölkerung, während zivilgesellschaftliche Initiativen wie das Exilmuseum oder bürgernahe Kultureinrichtungen wie die ZLB wenig politische Unterstützung erfahren. Die einstige Teilung der Stadt hat bis heute ihre Spuren in der Erinnerung an eine ehemals West-Berliner und Ost-Berliner Kunstszene hinterlassen.

Mit anderen Worten: Die besondere Bedeutung von Kunst und Kultur in Berlin ist keine Selbstverständlichkeit mehr, sondern muss mehr denn je aktiv gefördert und in Zusammenarbeit mit den kreativen Akteur*innen vor Ort zielstrebig, kontinuierlich und langfristig weiterentwickelt werden. Entscheidend ist dabei, dass es nur durch eine effektive Zusammenarbeit zwischen Politik, Verwaltung und Stadtgesellschaft gelingen kann, die vielfältigen Herausforderungen zu meistern.

Dementsprechend besteht eine zentrale Aufgabe für die Kulturpolitik darin, gemeinsam mit der Bürgerschaft eine orientierungsstiftende Vision zu formulieren, wie der essentielle kulturelle Beitrag von Kunst und Kultur zur künftigen Entwicklung der Hauptstadt aussehen soll und was für deren praktische Umsetzung erforderlich ist.

Die Stiftung Zukunft Berlin bietet für einen solchen partnerschaftlichen Dialog mit Politik und Verwaltung sehr gerne und vor allem unabhängig von partikularen Einzelinteressen ihre Expertise an, wobei sie auf ihre langjährige Arbeit wie z.B. im Forum Zukunft Kultur, der AG Humboldt Forum, dem Zukunftsforum Berlin-Brandenburg oder A Soul For Europe zur kulturellen Entwicklung der Hauptstadt aufbaut.

Vor diesem Hintergrund sehen wir insbesondere den folgenden Handlungsbedarf:

  1. Zukunftsvisionen in Dialog mit der Bürgerschaft formulieren!

Eine tragfähige und realisierbare Zukunftsvision muss auf das aufbauen, was es bereits gibt. Dafür ist es unerlässlich, den Austausch mit den Akteur*innen vor Ort zu pflegen. Bei der Auswahl der Gesprächs- und Kooperationspartner*innen ist darauf zu achten, dass vielfältige und vor allem professionelle Perspektiven zum Wohl der gesamten Stadt berücksichtigt werden und nicht einfach nur partikulare Interessensgruppen oder gar „Familienangehörige“ bevorzugt werden. Dementsprechend bedarf es geeigneter Dialogformate und Kommunikationskanäle, die einen offenen und transparenten Austausch ebenso wie verantwortungsvolle und belastbare Absprachen ermöglichen. Das Berlin Forum ist ein Beispiel für einen solchen gemeinsamen Dialog.

  1. Kreative Freiräume für Kunstproduktion und Kunstpräsentation sichern!

Berlin war einmal weltberühmt für seine kreativen Freiräume. Inzwischen hat sich die Lage dramatisch verändert: Es fehlt nicht nur an günstigem Wohnraum, sondern auch an bezahlbaren Arbeitsräumen, Produktionsmöglichkeiten und Präsentations-orten. Steigende Mieten oder Kündigungen werden Ateliers, Probenräumen, Ausstellungshäusern, Theatern und Clubs zum Verhängnis. Angesichts dieser Entwicklung muss Kulturpolitik auch als Stadtentwicklungspolitik praktiziert werden, die nicht allein große Museumsbauten oder Opernrenovierungen im Blick hat, sondern Räume für kreative Experimente sichert und verlässliche Rahmenbedingungen für kulturelle Raumnutzungen schafft. Aber auch Großprojekte wie die ZLB, die Alte Münze, vielleicht auch ICC und Tempelhof sollten vorrangig auf Ihren Nutzen hin für die Entwicklung der Stadtgesellschaft entwickelt werden.

  1. Internationale Beziehungen und das Humboldt Forum stärken!

Aufgrund seiner besonderen Geschichte hat Berlin auch eine besondere Verantwortung in Hinblick auf sein kulturelles Engagement für Frieden und grenzüberschreitende Verständigung. Mit dem Humboldt Forum wurde dieser Aufgabe ein zentraler Platz in der Hauptstadt und damit ein zentraler Stellenwert in der deutschen (Kultur)Politik zugewiesen. Doch auch wenn das Gebäude fertig und die Museen eröffnet sind, steht die eigentliche Aufgabe eines öffentlichen Forums für die Verständigung über den Umgang mit globalen Herausforderungen (wie Klimawandel, Migration, KI, usw.) und die friedensstiftende Zusammenarbeit mit internationalen Partner*innen erst noch aus. Dementsprechend muss Berlin hier seiner Verantwortung gerecht werden und stärker als bisher auf die Einbindung von internationalen Partner*innen drängen sowie die Zusammenarbeit mit ihnen (über die Kunst im engeren Sinne hinaus) auf allgemeinpolitische Fragen erweitern.

  1. Vielfalt und Zusammenhalt gestalten!

Das dynamische Wachstum der Stadt verschärft etliche Konflikte. Nicht selten geht es dabei um weltanschauliche, eben kulturelle Fragen: um widerstreitende Ansichten, politische Überzeugungen, religiösen Glauben, u.v.m. Um die Streitkultur in der Kunstszene ist es dabei nicht besser bestellt als im Rest der Gesellschaft. Deshalb muss es klare Regeln zum Schutz vor Diskriminierung, Hass und Gewalt im Kulturbereich geben. Das Fundament hierfür bildet das Grundgesetz. Eine Förderung von diskriminierenden oder demokratiefeindlichen Institutionen und Programmen sollte im Rahmen des rechtlich Möglichen ausgeschlossen sein. Was fehlt sind Angebote, die Kultureinrichtungen für mögliche Vorfälle sensibilisieren und beim Umgang mit eskalierenden Konflikten unterstützen. Als sinnvoll erscheint deshalb vor allem die Pflege des Dialogs und eine bedarfsgerechte Stärkung derjenigen selbstregulierenden Kräfte, die sich für ein konstruktives Miteinander engagieren. Leitend sollte dabei die Vorstellung einer offenen, freien und demokratischen, Kommunikations- und Kollaborationskultur sein, die aber auch in der Lage ist, ihre Bürger*innen im Ernstfall zu schützen.

  1. In kulturelle Bildung und kulturelle Teilhabe investieren!

Die Zukunft der Stadt liegt in den Händen unserer Kinder. Über den Missstand an Berliner Schulen wird viel gesprochen. Aber um die kulturelle Bildung des Nachwuchses steht es nicht viel besser. Vor allem auch desjenigen Teils, der aus dem Ausland oder aus Kriegs- und Krisenregionen nach Berlin kommt. Wenn die Konflikte unserer Gegenwart tatsächlich vor allem kulturelle Konflikte sind, ist es dringend erforderlich, massiv in kulturelle Bildung, Kreativität und Weltläufigkeit der Kinder zu investieren, die es ihnen ermöglicht, die Herausforderungen ihrer Zukunft auf erfindungsreiche, kollaborative und demokratische Weise zu bewältigen! Dafür ist es erforderlich, vor allem auch außerschulische Bildungsangebote wie Kunst- und Musikschulen, Jugendclubs, Outdoor-Treffpunkte, ZLB, u.v.m. auszubauen. Wir brauchen eine Bildungsoffensive, die eine Kultur des eigenständigen Denkens, vernünftigen Argumentierens, kreativen Gestaltens, empathischen Miteinanders und demokratischen Entscheidens fördert. Das geforderte Kulturfördergesetzt ist hierfür eine gute Grundlage, um Verbindlichkeit und Prioritäten neu zu ordnen.

Sven Sappelt, Andreas Richter, Christophe Knoch