Contemporary Art - Science - Urbanism - Digital Culture

Ein Therapiezentrum für Frauen und Kinder im Irak, ein Möbelstück mit integrierter Stromgewinnung aus Bio-Solar-Zellen, eine mobile Messstation, die Umweltdaten in Echtzeit auf das Smartphone sendet – die Ausstellung „beyond bauhaus“ präsentiert 20 vorbildliche Zukunftsprojekte als Preisträger des gleichnamigen Wettbewerbs, den „Deutschland – Land der Ideen“ anlässlich des 100jährigen Bauhaus-Jubiläums 2019 realisiert hat.

1. Intro

Die ausgezeichneten Projekte verdeutlichen alle, dass anspruchsvolles Design zu Beginn des 21. Jahrhunderts sehr viel mehr will und sehr viel mehr kann als nur gut auszusehen. Es basiert auf differenzierten Problemanalysen und wissenschaftlicher Forschung, nutzt innovative Methoden und Technologien und ist nicht selten an deren Entwicklung beteiligt. Es hat aus den Fehler der Vergangenheit gelernt und setzt sich gezielt für die Bewältigung von aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen ein. Damit eröffnet es uns realistische Wege in mögliche Zukünfte. Nicht als generalisierender Masterplan, sondern als sehr spezifische Modelle, die man durchaus vergrößern und vervielfachen kann. Wer sich in diesen Tagen über die Perspektivlosigkeit unserer Gegenwart beklagt, sollte sich diese Arbeiten genauer ansehen. An Ideen mangelt es sicher nicht...

2. Bauhaus und beyond

„beyond bauhaus“ besteht aus einem internationalen Gestaltungswettbewerb, einer Ausstellung der Wettbewerbsergebnisse und einem Veranstaltungsprogramm. Es findet im Rahmen des 100jährigen Gründungsjubiläums des „Staatlichen Bauhauses“ 1919 in Weimar statt. Das reichhaltige Jubiläumsprogramm beinhaltet gleich drei Museumsneubauten, zahlreiche Ausstellungen und noch mehr Veranstaltungen in ganz Deutschland und weltweit.

Vor diesem Hintergrund war es uns wichtig, eine Position beizusteuern, die das kulturelle Erbe des historischen Bauhauses und dessen Rezeption als ein öffentliches Kulturgut betrachtet, das von jeder und jedem angeeignet und produktiv gemacht werden kann. Mit all den Missverständnissen, Verkürzungen und Fehlinterpretationen, die unausweichlich mit solchen kreativen Aneignungsprozessen einhergehen. Dementsprechend ging es vor allem darum, an die schöpferische Energie, Gestaltungskraft und Experimentierlust anzuknüpfen, die das Bauhaus bis heute für viele Menschen so faszinierend macht.

Geht man den Schritt von 1919 in die Gegenwart, überspringt man unwillkürlich ein Jahrhundert voller Kriege und Katastrophen. Und vieles von dem, was uns kürzlich noch als Errungenschaft erschienen ist, macht uns inzwischen Probleme, wie beim Verkehr oder Plastikmüll. Dementsprechend greift auch jede direkte Bezugnahme auf das historische Bauhaus zwangsläufig zu kurz. Die Geschichte ist voller Brüche und Diskontinuitäten. Und die Herausarbeitung der komplexen Beziehungen und überraschenden Verweise mag ungemein bereichernd sein – ist im Detail aber wohl eher für einen engeren Kreis von Experten relevant.

Wenn wir also mit dem Bauhaus-Erbe im Rücken auf die Gegenwart blicken, kommen wir nicht umhin, einige grundlegenden Brüche anzuerkennen und nur einige wenige Bezüge herauszugreifen. Den Mittelpunkt steht dabei der Glaube an die Möglichkeiten von Gestaltung – als eine Kraft, die unsere Welt verändert, im kleinen Privaten wie im großen Ganzen. Paradoxerweise führen uns diese Bedeutung gerade die aktuellen Probleme mit schlecht gelösten Gestaltungsaufgaben vor Augen: wie eben die Flut von Plastikmüll, dysfunktionale Verkehrskonzepte oder eine neue Wohnungsnot. Das Gute der Nachricht besteht aber eben darin, dass diese Aufgaben in Zukunft besser gelöst werden können. Unser Glaube an Fortschritt mag erschüttert sein, aber ohne Fortschritt wird es nicht gehen. Und genau hier setzt „beyond bauhaus“ an: Im Kontext der Jubiläumsaktivitäten greift „beyond bauhaus“ die zentrale Frage der Moderne nach der welt-verändernden Kraft von Gestaltung auf und führt sie konsequent in die Gegenwart über.

3. Wettbewerbsdesign

Die Möglichkeiten, mit Hilfe von Architektur, Design und Technologie zu einer besseren Welt beizutragen, sind vielfältig: sie beginnen bei der Formulierung der Aufgabenstellung und reichen von der Materialauswahl über Produktionsverfahren und Gebrauchsweisen bis zur Entsorgung. Idealerweise reflektiert gute Gestaltung alle diese Arbeitsschritte und Lebenszyklen im Detail. Dafür erforderlich sind entsprechende Fachkenntnisse und Wissensformen, sodass nicht selten mehrere Disziplinen an einem Produkt zusammenarbeiten. Lyonel Feininger’s Kathedrale auf dem Bauhaus-Manifest von 1919 als Symbol für eine gleichberechtigte Arbeitsgemeinschaft erscheint an dieser Stelle durchaus aktuell – auch wenn der „Bau“ nicht mehr als „Endziel aller bildnerischen Tätigkeit“ (Walter Gropius) dient.

Vor diesem Hintergrund verfolgte die Ausschreibung des „beyond bauhaus“ Wettbewerbs mehrere Ziele: es sollten bewusst Gestalter*innen aus verschiedenen Disziplinen, Ländern und Generationen für die Teilnahme gewonnen werden. Und sie waren eingeladen, Prototypen oder Cutting-Edge-Projekte einzureichen, die sich (1.) durch ihre gestalterische Vision, (2.) ihre Zukunftsfähigkeit und (3.) ihren zu erwartenden sozialen Impact auszeichneten.

4. Einreichungen und Auswahl

Bis zur Einreichungsfrist im Frühjahr 2019 gingen über 1500 Bewerbungen aus 50 Ländern beim Land der Ideen ein. Ein offensichtliches Zeichen dafür, wie groß das Interesse an der thematischen Zielsetzung des Wettbewerbs war und wie viele Gestalterinnen und Gestalter derzeit weltweit an ähnlichen Zielen arbeiten. Bemerkenswert war dabei unter anderem die große Zahl von innovativen Prototypen aus China und von sozial engagierten Projekten aus Israel.

Ausdrücklich gedankt sei an dieser Stelle all denjenigen, die sich die Zeit genommen haben, uns ihre Ideen vorzustellen, ohne dass sie hier namentlich genannt werden können. Da war noch vieles dabei, was es auch wert gewesen wäre, ausgezeichnet zu werden. Und einiges davon wird man sicher noch an anderer Stelle zu Gesicht bekommen.

5. Ergebnisse und Erkenntnisse

Als Preisträger stehen nun also zwanzig Projekte fest. Zehn davon kommen aus Deutschland und zehn aus anderen Ländern. Sie alle eint, dass sie auf vorbildliche Art und Weise gestalterische Lösungen für Herausforderungen unserer Gegenwart bieten und uns gangbare Wege in die Zukunft eröffnen. Dabei geht es um grundlegende Themen wie Ernährung, Gesundheit, Gemeinschaft, Wohnen, Bauen, Mobilität und Energie.

Ein zentrales Motiv, das bei fast allen Projekten bewusst reflektiert wird, bildet die Suche nach neuen und nachhaltigen Materialien. Und zwar auf der einen Seite als Neuinterpretation von natürlichen Stoffen und biologischen Organismen wie Lehm, Pilzen oder Moos sowie auf der anderen Seite als systematische Erschließung von Abfallprodukten als wiederverwertbare Ressource („urban mining“).

Erwartungsgemäß spielen auch neue digitale Technologien eine zentrale Rolle. Dabei fällt auf, dass die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine einen immer kleineren Teil ausmacht. Die meiste Arbeit vollziehen die Rechner im Verborgenen: als Datenerfassung, Planungstool, Steuerungsinstrument. Umso wichtiger scheint es deshalb zu sein, Möglichkeiten der Visualisierung zu entwickeln, die uns helfen, die ungeheuren Datenflüsse und komplexen Verlinkungen besser verstehen und für positive Effekte nutzen zu können.

Insgesamt lässt sich die Arbeit all dieser Gestalter*innen vielleicht dadurch charakterisieren, dass sie mit Hilfe von Materialien und Technologien ihrer Gegenwart versuchen, gestalterische Visionen für eine nachhaltig lebenswerte Zukunft zu realisieren. Das hat viel mit Kreativität zu tun – aber auch mit kultureller Selbstreflexion und sozialer Verantwortung. In diesem Sinne lässt sich ihr „Stil“ bei aller Diversität der Erscheinungsformen vielleicht doch auf eine Formel bringen: und zwar als spezifische Haltung. Haltung als Stil. Und das hat dann überrascherweise doch wieder sehr viel mit historischen Bauhaus zu tun...

6. Ausstellung

Mit dem CLB Berlin im Aufbau Haus am Moritzplatz in Kreuzberg fiel die Wahl des ersten Ausstellungsortes ganz bewusst auf einen Raum, der für ein lebendiges Miteinander von zeitgenössischer Kunst, Wissenschaft und Urbanismus steht. Hier treffen Kreative aus verschiedenen Feldern aufeinander, um aktuelle Fragen der Stadtgesellschaft in offener Form und ohne institutionalisierte Hierarchien zu diskutieren. Gleich nebenan befindet sich die design akademie Berlin, die „beyond bauhaus“ neben ihrer fachlichen Expertise auch logistisch unterstützt hat.

Bei der Gestaltung der Ausstellung arbeiten wir bewusst mit einem jungen Designteams zusammen: dem Studio Milz von Simon Deeg und Andreas Picker, beides Absolventen der UdK Berlin. Überzeugt hat uns hierbei das spielerische Zusammenspiel von Low-Tech und High-Tech, von Kunst, Handwerk und Technologie sowie nicht zuletzt die skulpturale Qualität der Konstruktion, die wie gezeichnete Linien im Raum wirken und uns an den Stäbetanz von Oskar Schlemmer auf der Bauhausbühne 1929 erinnern. Aber schauen Sie lieber selbst und vertrauen Sie ihrem eigenen Urteil ...